Als Genesis im Jahr 1974 die Arbeit an ihrem fünften Album »The Lamb Lies Down On Broadway« aufnehmen, steht die Gruppe kurz vor einem Umbruch. Durch die Platte entsteht Streit unter den Musikern, zwei Lager bilden sich — bis Sänger Peter Gabriel schließlich aussteigt.
Los geht die Geschichte im Mai 1974. Genesis kommen gerade von der Tour zu ihrem vierten Studioalbum Selling England By The Pound (1973) zurück, bis dato die erfolgreichste Scheibe der Gruppe. Direkt im Anschluss buchen sie ein ehemaliges Armenhaus im englischen Headley, um sofort mit der nächsten Platte zu beginnen. Was sie dort vorfinden, lässt die Stimmung der Musiker schon vor dem Startschuss in den Keller sinken. So hat die Band, die das Gebäude vorher gebucht hatte, ihren Nachfolgern nicht nur eine Menge Ratten, sondern auch Exkremente hinterlassen. Frontmann Peter Gabriel, Keyboarder Tony Banks, Bassist Mike Rutherford, Gitarrist Steve Hackett und Schlagzeuger Phil Collins sind »not amused«.
Doch nicht nur die äußeren Umstände sorgen für Spannungen. Auch innerhalb der Band kriselt es. So gibt Hackett in einem Interview zu Protokoll: »Jeder von uns hatte seine eigenen Pläne. Manche waren verheiratet, manche hatten Kinder, wieder andere ließen sich gerade scheiden. Trotzdem versuchten wir, uns zusammenzuraufen.«
Schon zu Beginn des kreativen Prozesses legen Genesis fest, dass The Lamb Lies Down On Broadway ein Doppelalbum werden soll, nur die Geschichte steht noch aus. Rutherford schlägt eine Idee vor, die sich an Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry orientiert, doch Gabriel legt sein Veto ein. Die Begründung: das Konzept sei zu »niedlich«. Stattdessen stellt er seinen Kollegen einen eigenen Einfall vor, von dem er sie schließlich auch überzeugen kann. Deshalb erzählt das Album nun von Rael, einem New Yorker Teenager mit puerto-ricanischer Abstammung, der sich auf einen Selbstfindungstrip begibt und spannende Dinge erlebt.
Der kreative Ansatz funktioniert, sorgt aber auch für Streit. So möchte Gabriel alle Texte im Alleingang schreiben. Bis zu jenem Zeitpunkt waren jedoch immer alle Genesis-Musiker daran beteiligt. Seine Kollegen wiederum sollen die passende Musik beisteuern, wodurch Gabriel oft alleine in einem Zimmer sitzt und Verse verfasst, während die anderen vier Genesis-Mitglieder zusammen komponieren.
Weitere Schwierigkeiten entstehen, als Gabriel Genesis schon während des Songwritings und der Aufnahmesessions verlässt, um an einem gemeinsamen Projekt mit Filmregisseur William Friedkin zu arbeiten. Zu allem Überfluss muss der Sänger im Juli auch noch nach London reisen, weil seine Frau Jill vor einer problematischen Geburt steht. Dafür haben seine Kollegen kein Verständnis, und die gegenseitige Entfremdung nimmt Überhand. In einem späteren Interview räumt Rutherford ein, dass die Band Gabriel zu jener Zeit nicht genug unterstützt habe.
Nach der Veröffentlichung am 18. November 1974 erhält The Lamb Lies Down On Broadway zunächst zwar gemischte Kritiken, gehört heute aber zu den wichtigen Referenzwerken im Siebziger-Prog und im frühen Katalog von Genesis. Zwei Singles werden in Europa veröffentlicht, nämlich The Carpet Crawlers und Counting Out Time; in den britischen Charts schafft Lamb es auf Platz zehn, in den USA auf 41. Um die persönlichen Beziehungen innerhalb der Mannschaft steht es da bereits gar nicht mehr gut. Für die Tour zum Album bleibt Peter Gabriel noch an Bord, steigt am 22. Mai 1975 allerdings aus.
»The Lamb Lies Down on Broadway (50th Anniversary Super Deluxe Edition)« bietet einen tiefen Einblick in die Musik und die visuellen Elemente rund um dieses bahnbrechende Album und die entscheidende Zeit für die Band. Das Album war der Höhepunkt des frühen Erfolgs der Band und gilt als eine der wichtigsten Progressive-Rock-Platten aller Zeiten.
Die Bandmitglieder von Genesis waren an der Überwachung und Genehmigung dieser neuen Super Deluxe Edition des Albums beteiligt, einschließlich neuer Linernotes. Das Album feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen.